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Artikel aus der Rhein-Neckar-Zeitung vom 27.07.2018 von Harald Berlinghof.

Hier sind die Arbeitnehmer auch Arbeitgeber

Ein Aufsichtsrat, ein Vorstand, zwei Mitarbeiter. Genauso viele Häuptlinge wie Indianer? Bei der Heidelberger Firma Jacom Systemhaus eG sind alle gleichzeitig Indianer und Häuptlinge. Der IT-Dienstleister für die gewerbliche Wirtschaft ist nämlich eine Genossenschaft. Genauer gesagt eine Produktivgenossenschaft, auch wenn gar nichts im engeren Sinn produziert wird. Das Besondere an der Gesellschaftsform einer Produktivgenossenschaft ist, dass alle Mitarbeiter am Unternehmen beteiligt sind. Und so sind sie Chefs und Beschäftigte gleichzeitig. Sie schaffen sich ihre eigenen Arbeitsplätze, machen ihre Arbeitsverträge selbst, in denen festgelegt ist, wie viel sie verdienen und wie lange sie arbeiten müssen. Und sie sind glücklich und zufrieden dabei, betont Dietrich Hassmann, mittlerweile im Ruhstand, bis vor kurzem Aufsichtsrat und gleichzeitig einer der fünf Indianer. Ganz genau genommen war er auch kein Aufsichtsrat - so darf er sich eigentlich erst ab 20 Mitgliedern nennen - sondern Bevollmächtigter. Das wiederum stammt eher aus dem Sprachschatz der Gewerkschaften, aber seine Funktion, so sagt er, glich viel mehr der eines Aufsichtsrates in einer Aktiengesellschaft.

Bei der letzten Mitgliederversammlung wurde Sebastian Gramlich zum Bevollmächtigten und Christian Zax zum alleinigen Vorstand bestimmt. Dietrich Hassmann wird weiterhin als externer Berater und Softwareentwickler für die Genossenschaft tätig sein.

Eine Produktivgenossenschaft hat viel mit dem strukturellen Aufbau einer Aktiengesellschaft gemeinsam. Die Generalversammlung der Mitglieder gleicht einer Hauptversammlung eines Konzerns. Darin wird über die Gewinnverwendung entschieden, ob eine Dividende an die Mitglieder gezahlt wird oder ob der Gewinn im Unternehmen bleibt. Und auch ob man Bonuszahlungen an sich selbst genehmigt.

Gewerkschaften braucht man in der Genossenschaft nicht. Auch keinen Betriebsrat. Denn die Mitglieder sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichzeitig. "Wir regieren uns selbst und sind alle kleine Chefs. Das ist selbstbestimmtes Arbeiten und macht richtig Spaß", so Hassmann. Die Generalversammlung der Jacom Produktivgenossenschaft besteht aus fünf Mitgliedern und ist gleichzeitig der Betriebsrat, der auf die Rechte der Arbeitnehmer achtet. Die Interessen des Unternehmens und die Interessen der Mitarbeiter werden dort gemeinsam besprochen.

"Unsere Beschlüsse fallen immer einstimmig aus, weil wir solange miteinander diskutieren, bis wir eine gemeinsame Lösung gefunden haben", so Hassmann. "Jeder hat eine Stimme. Das ist gelebte Demokratie".

1985 haben Dietrich Hassmann und Volker Janik die Jacom GmbH gegründet. Anfangs verkaufte man noch Computer-Hardware, später wurde Jacom ein Softwarehaus. 30 Jahre lang war man eine GmbH, dann fiel der Entschluss, die Gesellschaft in eine Genossenschaft umzuwandeln. Ein Verkauf der GmbH war nicht möglich. "Als Dienstleistungsunternehmen hat man nicht so viel zu verkaufen", sagt Hassmann.

Viele Bekannte wollten es nicht verstehen, dass er und sein Gründungskollege die Firma einfach aus der Hand geben wollten. "Ich habe mir aber damit meinen Arbeitsplatz gesichert, auch wenn ich jetzt weniger verdiene als früher", sagt der überzeugte Genossenschaftler. Alle Genossenschaftsmitglieder bekommen das gleiche Gehalt. Man gelte nicht als selbstständig, sondern als angestellt. Mit allen Vorteilen wie Kündigungsschutz und Urlaub. 1000 Euro musste jeder als Gesellschaftsanteil beisteuern. Auch die Höhe dieser Anteile hat man frei festlegen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Mitglieder hinzu kommen, wenn die Firma expandiert.

Seit drei Jahren funktioniert die Produktivgenossenschaft Jacom inzwischen. Obwohl die Gesellschaftsform viele Vorteile hat, wie Hassmann betont, gibt die Unternehmensform in Deutschland eher selten.


Artikel des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes vom 1.10.2014 von Stefanie Senfter:

Jacom Systemhaus eG: Vom Chef zum Kollegen

Volker Janik und Dietrich Hassmann haben 1985 den IT-Dienstleister Jacom Systemhaus mit Sitz in Heidelberg gegründet. In Zeiten ohne Elektronikdiscounter vertrieben die beiden Hardware. Mit der Zeit entwickelte sich das Unternehmen zum Softwareentwickler und Systemhaus für IT-Dienstleistungen weiter. So manchen Kunden – darunter die Rhein-Neckar-Zeitung oder den Schreibgerätehersteller Lamy – betreut Jacom Systemhaus seit vielen Jahren.

Unternehmenserfolg durch Mitarbeiter
Inzwischen sind der Gründer Janik 69 und Hassmann knapp 60 Jahre alt. Die Nachfolgefrage beschäftigt die beiden Unternehmer schon eine ganze Weile – auch die Option des Unternehmensverkaufs haben die beiden geprüft, aber schnell wieder verworfen. „Wir haben unsere Mitarbeiter schon immer als den tragenden Teil unseres Unternehmens gesehen und wichtige Entscheidungen mit ihnen zusammen demokratisch getroffen“, sagt Dietrich Hassmann. Schon häufig er habe er über die Rechtsform Genossenschaft nachgedacht, doch erst die Nachfolgefrage gab den Ausschlag zur Umfirmierung. „Jeden Tag aufs Neue entscheiden die Köpfe, die bei Jacom arbeiten, mit Initiativen und Ideen über den Erfolg des Unternehmens“, sagt Hassmann. Er beendet seine Sätze meist mit einem Lachen. Dann bilden sich hinter seiner weinroten Brille um seine Augen Fältchen: „Wir wollen, dass sich alle ihres Arbeitsplatzes sicher sind und sich dafür selbst einsetzen.“ Im Internet informierte sich der Unternehmer über die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft und entdeckte die Produktivgenossenschaft. Darin sind die Mitglieder sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmer. Sie führen die Geschäfte, tragen das betriebliche Risiko gemeinsam und teilen sich den Unternehmens gewinn. Von dieser Idee sind Janik und Hassmann angetan. Im Herbst 2013 schlugen sie den Mitarbeitern den Weg in die Produktivgenossenschaft vor. „Ich fand die Idee neu und gut, weil sie die Vorteile des unternehmerischen Anteils eines Genossenschaftsmitglieds mit den Vorzügen einer festen Anstellung verbindet. Damit waren alle Beteiligten zufrieden und die Nachfolgefrage geklärt“, sagt Christian Zax. Er arbeitet seit über zehn Jahren bei dem IT-Dienstleister, hat gerne früh Verantwortung übernommen und sich persönlich sehr stark eingebracht, wie Hassmann bestätigt. Nach der Beratung durch den BWGV zeigte sich, dass der Aufwand, die Genossenschaft zu gründen, keine große Hürde darstellte. „Die einzubezahlende Einlage konnte sich jeder Mitarbeiter leisten“, erklärt Mitgründer Hassmann. Im Dezember 2013 fand die Gründungsversammlung statt.

Mitarbeiter werden Vorstände
Zax und sein Kollege Sebastian Gramlich wurden in den Vorstand der Fünf-Mann-Genossenschaft gewählt. „Gefühlt macht es keinen Unterschied, ob ich Vorstand bin“, sagt Zax. Er habe schon vorher ein Mitspracherecht gehabt, da sei es ein gutes Gefühl, auch formal Mitunternehmer zu sein. Zax sitzt auf dem blauen Sofa im Eingangsbereich des offenen Bürobereichs von Jacom Systemhaus. 2009 wurde das Unternehmen für nachhaltiges Wirtschaften zertifiziert. Im Herbst zieht der IT-Dienstleister in ein neues Bürogebäude mit Passivhausstandard in der Heidelberger Bahnstadt. Nachhaltigkeit ist Hassmann wichtig und es spart Kosten, denn das Ziel der Genossenschaft ist es, sich im schwierigen IT-Markt zu behaupten, Arbeitsplätze zu sichern und auszubauen. Jährlich soll ein Genossenschaftsmitglied, also Mitarbeiter, hinzukommen. „Die Kunden haben sehr positiv auf die Nachricht reagiert, dass wir jetzt eine Genossenschaft sind, für sie ändert sich nichts und für uns ist es eine gute Lösung“, sagt Zax.

„Bist du verrückt?“ – „Nein.“
Die Reaktionen aus dem Bekanntenkreis des Mitgründers Hassmanns waren teils kritischer. „Du kannst doch nicht dein Unternehmen hergeben“, sagten beispielsweise befreundete Unternehmer. Hassmann entgegnete ihnen daraufhin, dass er weiterhin ein Teil davon sei. „So sichere ich mir auch für später meinen Arbeitsplatz. Ich kann solange ich und die anderen wollen hier mitwirken“, sagt er. Manchmal müsse er sich zurücknehmen, wenn er eine Anweisung gebe. Aus dem Chef ist ein Kollege geworden. Alle Genossenschaftsmitglieder bekommen das gleiche Gehalt. Dass er weniger verdient, stimmt ihn nicht missmutig: „Klar haben Volker Janik und ich jetzt ein bisschen weniger Geld in der Tasche, aber meine Mitarbeiter haben jahrelang für uns gearbeitet, jetzt können wir etwas zurückgeben.“ Er ist sich sicher, dass das IT-Unternehmen noch effizienter wird, bessere Geschäfte macht und die Gehälter steigen werden. Die Genossenschaftsmitglieder entscheiden gemeinsam über das Finanzielle. „Zusammen haben wir auch entschieden, dass wir nicht in kleinere Büros als jetzt ziehen wollen, obwohl wir mehr Miete zahlen müssen – dafür fühlen wir uns am Arbeitsplatz wohler“, sagt Hassmann. Er hat seit Dezember mehr Freizeit und Freiheit. Seine Frau freue sich, ihn öfter zu sehen. Früher habe er auch nachts und am Wochenende gearbeitet. Er erzählt, dass er zuletzt ein verlängertes Wochenende in Berlin mit seiner Frau verbracht hat. Ob er keine Probleme mit dem Loslassen und Geschäft abgeben gehabt habe? Er lacht: „Ich bin eher ein Typ, der gerne teilt und nicht alles an sich reißt oder rafft. Außerdem ist jetzt alles für die Zukunft des Unternehmens geregelt.“

Von der Genossenschaftsidee begeistert
In seinem Heimatort Bammental ist Dietrich Hassmann als Vorstand im Gewerbeverein aktiv. Die Gewerbetreibenden arbeiten gerade an einem Konzept für eine eigene Tauschwährung. Der Unternehmer will die Genossenschaftsidee in den Ort tragen und plant beispielsweise einen Informationsabend zum Genossenschaftskonzept. „Wir haben rund 200 Unternehmen im Ort und es gibt viele Beispiele von Einzelhändlern, bei denen die Genossenschaftsidee – ob für den Geschäftsalltag oder eine Nachfolgeregelung – greifen könnte“, sagt er. Die Idee, Mitarbeiter partizipieren zu lassen, begeistert ihn. Gerade ist er dabei, ein Fahrradfachgeschäft als Genossenschaft zu gründen. Fahrradfahren sei nachhaltig und er will den Mitgliedern damit das Recht auf einen altersgerechten, selbstbestimmten Arbeitsplatz sichern.